Gefahrensatz: Dieser Grundsatz gelangt insbesondere in den Fokus bei Stürzen oder Teilnahmen an Freizeitaktivitäten und bei Tierhalterhaftungen.
Der Gefahrensatz lautet wie folgt:
Wer einen Zustand schafft oder aufrechterhält, der angesichts der konkreten Umstände erkennbarerweise einen anderen schädigen könnte, ist nach allgemein anerkanntem Rechtssatz verpflichtet, die zur Vermeidung eines Schadens erforderlichen Massnahmen zu treffen (vgl. BGE 126 III 113 E.2a).
Derjenige, welcher für die Schaffung einer gefährlichen Situation verantwortlich ist oder diese unterhält, muss also entsprechende Vorkehrungen zur Schadensverhinderung treffen, ansonsten er oder sie zur Rechenschaft gezogen werden können.
Zur Beurteilung dieser Haftungsgrundlage müssen einerseits die konkreten Umstände beachtet werden, andererseits muss die potentielle Schädigung durch den Zustand erkennbar sein.
Die Gerichte müssen sich regelmässig mit den verschiedensten Unfällen wegen strittiger gefährlicher Zustände befassen. Aus der reichhaltigen Rechtsprechung seien die folgenden vorgestellt:
Nach der selbständigen Montierung von Drehschrankbetten prüfte der Beklagte deren Stabilität, indem er an den Betten rüttelte und mit dem Knie auf die Bettfläche stieg. Er unterliess es, sich mit seinem Gesamtgewicht daraufzulegen, befand die Konstruktion jedoch für sicher. In der Nacht kippte die Konstruktion auf den schlafenden Kläger, was zu einer Halswirbelsäulenverletzung führte.
Das Gericht meint dazu:
Der Mangel an Sorgfalt wird festgestellt durch den Vergleich des tatsächlichen Verhaltens des Schädigers mit dem hypothetischen Verhalten eines durchschnittlich sorgfältigen Menschen in der Situation des Schädigers. Die negative Abweichung von diesem geforderten Durchschnittsverhalten gilt in der Regel als sorgfaltswidrig (Rey, Ausservertragliches Haftpflichtrecht, 4. Auflage, Zürich 2008, N 810 und N 844 ff.; BK-Brehm, 3. Auflage, Bern 2006, N 170 ff. und N 179 ff. zu Art. 41). […]
Auch die Verletzung des Gefahrensatzes begründet ein Verschulden. […] Der alleinige Umstand aber, dass ein Vorfall geschehen und ein Schaden entstanden ist – den man, im Nachhinein betrachtet, hätte vermeiden können – heisst noch nicht, dass das Verhalten unter den vorangehenden Umständen schuldhaft war (BK-Brehm, a.a.O., N 188 zu Art. 41).
[…] Der Prüfung der Adäquanz liegt eine rein objektive Betrachtungsweise zu Grunde, bei der es auf die subjektive Erkennbarkeit nicht ankommt (vgl. Rey, a.a.O., N 532 f.). Letzteres Kriterium spielt bei der Verschuldenshaftung indes eine Rolle hinsichtlich der Abklärung des Verschuldens des Schadenverursachers (vgl. bspw. BGE 119 Ib 334 E. 5b). Zwar wird auch bei der Fahrlässigkeit objektiviert geprüft. Das heisst aber konkret, dass für die Beurteilung der Erkennbarkeit nicht von den individuellen Gegebenheiten des Beklagten, sondern von einem durchschnittlich sorgfältigen Menschen in der Situation des Beklagten ausgegangen wird. Von der Vorinstanz ist aufgrund des Mangels am Schrankbett dessen Aufklappen als adäquat kausale Teilursache für den bei der Klägerin entstandenen Schaden gewürdigt worden; die Frage der Voraussehbarkeit beschlägt nunmehr den Aspekt, ob der Mangel für einen durchschnittlich sorgfältigen Menschen erkennbar war.
In diesem Urteil wird also der Begriff des «sorgfaltswidrigen Verhaltens» definiert als negative Abweichung vom geforderten Verhalten eines durchschnittlich sorgfältigen Menschen in der Situation des Schädigers. Dass ein Schaden entstanden ist, welchen man, im Nachhinein betrachtet, hätte vermeiden können, heisst aber noch nicht, dass das Verhalten unter den vorangehenden Umständen schuldhaft war. Der gefährliche Zustand muss objektiv, also für einen durchschnittlich sorgfältigen Menschen, erkennbar sein (Urteil des OGer/ZH LB160056-O/U vom 12. Oktober 2017).
In einem anderen Bundesgerichtsentscheid ging es um ein Mädchen, welches während des Reitunterrichts vom Pferd stürzte und am Hinterkopf vom Huf des Pferdes getroffen wurde. Das Pferd war bereits zweimal vor dem Eintritt des Unfalls ausgebrochen.
Das Bundesgericht meint dazu:
«Aus diesen Ausführungen ergibt sich, dass der Reitlehrer, nachdem das Pferd „Amigo“ zum zweiten Mal ausgebrochen war, sich nicht damit hätte begnügen dürfen, die Pferde noch einmal in den Schrittgang zurückzubeordern, sondern beim erneuten Wechsel in den Trab eine weitergehende Sicherheitsmassnahme hätte treffen müssen. Wohl wäre ein Abbruch der Reitstunde nicht unbedingt notwendig, wenn auch immerhin empfehlenswert gewesen. Jedenfalls wäre es geboten gewesen, das unruhige Pferd selber zu reiten und erst dann erneut einen Wechsel vom Schritt zum Trab zu befehlen. Nur eine solche Vorkehr hätte es dem Reitlehrer erlaubt, die Lage in der Reithalle im Griff zu behalten. Indem er davon absah und seine Lektion wie zuvor weiterführte, schuf er eine Gefahrensituation, ohne gleichzeitig die erforderlichen Sicherheitsmassnahmen zu treffen. Da er um das eingegangene Risiko und die Gefährdung der Schülerinnen wusste, muss ihm dies als Verletzung seiner Sorgfaltspflicht als Reitlehrer vorgeworfen werden.
Im Übrigen hätte die erwähnte Sicherheitsmassnahme nicht bloss der Überwachung der Pferde dienen sollen, die nach der Auffassung des Beschwerdeführers vom Boden aus ebenso gut hätte erfolgen können, sondern der Erfüllung seiner Pflicht, die Situation während der ganzen Lektion zu beherrschen und die Tiere sicher zu führen. Von dieser Pflicht kann er sich nicht einfach mit dem Hinweis auf die mit dem Reitsport immer verbundenen Gefahren entledigen.»
Der aufrechterhaltene gefährliche Zustand ergibt sich hier nicht aus dem Reitunterricht per se. Ausschlaggebend war i.c., dass die Pferde sich bereits unruhig verhielten und insbesondere eines der Pferde bereits zweimal ausgebrochen war. Hier hätte der Reitlehrer mit entsprechenden weitergehenden Sicherungsmassnahmen eingreifen müssen (BGE 127 IV 62).
Unsere Rechtsanwältin Diane Günthart aktive Dressurreiterin. Sie führt und pflegt selbst einen Stall, kennt sowohl Gefahren als auch Massnahmen zur Verhinderung von Tierhalterhaftungen. Sie trainiert auch Hunde. Sie kennt dadurch nicht nur das Gesetz und Rechtsprechung, sondern auch die tatsächlichen Gefahren, die im Zusammenhang mit Tieren (Pferde und Hunde) ausgehen können.
In einem weiteren Entscheid des Bundesgerichtes ging es um A., welcher ein Transportunternehmen führte und den elfjährigen B. auf eine Dienstfahrt mitnahm. Auf der Rückfahrt wollte A. Baumstämme für eine Sägerei aufladen. Dabei kam es zu einem Unfall, bei welchem B. zwischen zwei Baumstämmen eingeklemmt wurde und sich schwer verletzte.
Das Bundesgericht hielt fest, dass Waldarbeiten, zu denen namentlich auch das Abtragen eines Rundholzlagers gehört, generell gefährliche Tätigkeiten darstellen. Durch das Aufladen der im Wald gelagerten Baumstämme auf den Lastwagen hätte der Beschwerdeführer einen gefährlichen Zustand geschaffen und war somit gemäss dem Gefahrensatz verpflichtet, sämtliche zur Vermeidung eines Schadens erforderlichen und zumutbaren Schutzmassnahmen zu treffen.
Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers war der gefährliche Zustand mit dem vorübergehenden Unterbruch des Ladevorgangs noch nicht beendet, und die Vorinstanz ging daher nicht von einer „generellen Garantenstellung in Bezug auf alle sich aus dem Aufenthalt im Wald ergebenden Gefahren“ aus.
Zu Beginn der Arbeiten ist B. den gebotenen Schutzmassnahmen nachgekommen, indem er den Beschwerdegegner angewiesen hatte, ausserhalb des Gefahrenbereichs und in seinem Blickfeld zu bleiben, und den Aufenthaltsort des Beschwerdegegners ständig unter Kontrolle hatte. Als jedoch nur noch drei Baumstämme zum Abtransport bereit lagen und der Beschwerdeführer das Aufladen der Baumstämme unterbrach, weil er den Lastwagen umstellen musste, hat er die erforderlichen Sicherungspflichten nicht (mehr) wahrgenommen. Sowohl die verbleibenden drei Baumstämme als auch das geplante Manövrieren des Lastwagens schufen eine Gefahr, weshalb sich der Beschwerdeführer hätte vergewissern müssen, dass sich der Beschwerdegegner nicht im Gefahrenbereich aufhält. Indem er den Sichtkontakt zum Beschwerdegegner abgebrochen und es unterlassen hätte, andere Sicherheitsvorkehrungen zu treffen, wie ihn angesichts der veränderten Situation nochmals ausdrücklich darauf hinzuweisen, sich weiterhin nicht in den Gefahrenbereich zu begeben, hat er seine Sicherungspflicht verletzt (Urteil des BGer 4A_520/2007 vom 31. März 2008).
Nicht alle gefährlichen Zustände sind aber haftungsbegründend. So sind Warnhinweise auf offensichtliche Gefahren nicht nötig. Vielmehr sind entsprechende Hinweise lediglich dort angezeigt, wo eine Gefahr bei gewöhnlicher, den Umständen angemessener Sorgfalt nicht ohne Weiteres erkannt werden kann (Entscheid UE170249 des OGer/ZH vom 18.10.2017).
Bei Sportanlagen gilt grundsätzlich, dass derjenige, der einen Gefahrenbereich – zum Beispiel eine Sportanlage – schafft, die davon ausgehenden Gefahren zu kontrollieren und zu verhindern hat, dass dadurch Schädigungen fremder Rechtsgüter entstehen. Der Betreiber von Sportanlagen hat dafür einzustehen, dass zur Gefahrenabwehr alle zumutbaren Vorsichts-, Schutz- und Überwachungsmassnahmen getroffen werden (Urteil des Kantonsgerichts Graubünden SK1 14 42 vom 29.01.2016).
Immer wieder zu Haftungsstreitigkeiten führen Unfälle auf verreisten Strassen.
Für sie gilt:
«In welchem Masse öffentliche Strassen zu unterhalten seien, bestimmt grundsätzlich das öffentliche Recht. Es kann daher nur bei Vernachlässigung elementarster Massnahmen von einem Unterhaltsmangel gesprochen werden.»
Das öffentliche Recht schreibt den Gemeinwesen z.B. im Wallis ausdrücklich vor, Winterglätte auf ihrem Strassennetz zu bekämpfen. Dies heisst allerdings nicht, dass bei jedem Unfall, der mit einer solchen Gefahrenquelle zusammenhängt, auf einen mangelhaften Unterhalt der Strasse i.S.v. Art. 58 OR (Werkeigentümerhaftung) zu schliessen sei. Es kommt auf die konkreten Umstände im Einzelfall an, ob der Strasseneigentümer überhaupt in der Lage war, seine Aufgabe zu erfüllen. Das Strassennetz kann wegen seiner Ausdehnung nicht in gleichem Masse unter Kontrolle gehalten werden wie zum Beispiel ein einzelnes Gebäude (BGE 98 II 40).
Geburtsgebrechen: Was ist ein Geburtsgebrechen? Ist Epilepsie bei Kindern immer ein Geburtsgebrechen? Grundlegend ist die Unterscheidung zwischen angeborener und erworbener Erkrankung. Bei seltenen Erkrankungen von Neugeborenen und Kindern bedingt die Beurteilung, ob die Krankheit überwiegend wahrscheinlich angeboren ist, fachspezifisches Wissen bei der Interpretation von wissenschaftlichen Studien.
Genugtuung: Haben Sie einen Unfall erlitten oder sind Sie sonst wie geschädigt worden? Möchten Sie eine Genugtuung geltend machen? Unter welchen Voraussetzungen ist dies möglich? Kann ich mit ähnlich hohen Summen wie in den USA rechnen?
In der Schweiz werden für Hinterbliebene von Null (für einen Bruder einer getöteten Frau) bis zu 150‘000.00 (für die Eltern eines brutal ermordeten erwachsenen Mannes) gesprochen.
Das ist möglich, weil die Genugtuung nach freiem Ermessen zugesprochen wird. Die Unterschiede bei der Genugtuung variieren darum stark. So kann es durchaus sein, dass Sie für die gleiche Tat und den Verlust eines nahen Angehörigen an einem Gericht wesentlich anderes erhalten, als an einem anderen. Das Gericht hat eher mit Zufälligkeit denn mit Gesetzmässigkeit zu tun. Zu den Genugtuungen besteht eine reiche Gerichtspraxis, ein eigentlicher Entscheiddschungel.
Die Genugtuung ist nach Recht und Billigkeit festzulegen. Billig heisst nun aber nicht, günstig wie ein Kauf einer Aktionsware, sondern die Genugtuung soll unter Berücksichtigung aller Faktoren angemessen entschädigen.
Die Angemessenheit richtet sich nach den individuellen genugtuungsbegründenden Faktoren. Diese zu evaluieren und zu substantiieren bedingt bei Körperschäden eine sorgfältige Auseinandersetzung mit dem Körperschaden und seiner Folgen in allen Lebensbereichen. Nur so kann eine Genugtuung in angemessener Höhe erfolgreich durchgesetzt werden.